Künstlerkolonien

Die Verwandlung zur Künstlerinsel beginnt

Für den Hiddensee-Reisenden vor mehr als hundert Jahren war die Anreise ein kleines Abenteuer: Erst einmal mußte er sich vom Tourenschiff Stralsund-Breege/Wittow aus- oder abbooten lassen. Über ein Signal wurde dann der Fährmann gerufen, der ihn mit seinem Ruderboot an das flache Ufer brachte. Doch nun befand sich der Passagier erst auf der Fährinsel und ob der Fährmann bereit war die weiblichen Gäste über den schmalen Wasserweg zu tragen, soll immer vom Aussehen und Gewicht der Damen abhängig gewesen sein. Die Herren mußten die Hosen hochkrempeln und waten, später nutzte man Pferdefuhrwerke. Heute ist diese Fährinsel Brutgebiet für Seevögel.

Künstlerkolonien

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Doch auch nachdem am 17. Juli 1887 erstmals der Dampfer „Germania“ auf einer Extrafahrt mit Getöse Kloster erreicht hatte und ab Juli 1892 der Salon- und Postdampfer „Caprivi“ dann diesen Ort in seine reguläre Route aufnahm, blieb die Zahl der Hiddensee-Urlauber übersichtlich.

Im Jahr 1905 entstand eine Landungsbrücke für Motorboote im Süden bei Neuendorf/Plogshagen, wenig später konnten Stralsunder Dampfschiffe den Hauptort Vitte anlaufen. Dennoch blieb es ruhig auf der Insel, weil sie weder Kurhäuser noch Tennisplätze oder prunkvolle Promenaden bot.

Die Geschichte der Insel reicht viele Jahrhunderte zurück. Die ersten Reiseschriftsteller, Heimat- und Naturforscher, die die Insel besuchten, ihre Eindrücke niederschrieben und veröffentlichten, kamen im Neunzehnten Jahrhundert. Sie fanden ein von der Zivilisation wenig berührtes Eiland vor. Die Mischung aus äußerst reizvoller Landschaft und meditativer Ruhe lockte schon bald den individuell Reisenden an, darunter viele Schriftsteller, Dichter, Poeten, Maler und Schauspieler, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges Hiddensees Ruf als Künstlerinsel begründeten.

Der Theologe Gotthard Ludwig Theobal Kosegarten (1758-1818) machte als einer der ersten auf die Schönheiten Rügens und Hiddensees aufmerksam. In empfindsamen Gedichten und in Prosaschriften schrieb er über Hiddensee. 1774 erschienen von ihm die BRIEFE EINES SCHIFFBRÜCHIGEN, deren Held die nördliche Spitze Rügens und Hiddensee streift.

Im Sommer 1885 besuchte der Dichter Gerhart Hauptmann (1862-1946) zum ersten Mal die unberührte Insel, die ihn zeit seines Lebens immer wieder für Wochen und Monate festhielt und ihm nach 61 Jahren schließlich zur letzten Ruhestätte wurde. Im Winter 1929 erwarb der Dichter das Haus „Seedorn“ und ließ es um ein gewaltiges Arbeitszimmer erweitern. Die Räume des Hauses sind jetzt als Gedenkstätte hergerichtet. Sie bergen manches Erinnerungsstück an den großen deutschen Dichter und sein Werk.

Alexander Ettenburg (1858-1919), Einsiedler und selbsternannter Theaterkünstler, rührte kräftig die Werbetrommel, seit er 1888 erstmalig „dat söte Länneken“ betrat.

Die Einzigartigkeit der Natur zog unter anderem auch die Maler Friedrich Preller den Älteren (1804-1878), Gustav Schönleber (1851-1917) und den Freilichtmaler Walter Leistikow (1865-1905) an.

Zu den ersten Sommergästen, die auf Hiddensee bauten, gehörte der Berliner Maler Oskar Kruse (1847-1919). Er erwarb 1904 ein großes Grundstück und ließ sich im Ort Kloster auf freier Höhe einen repräsentativen Landsitz, die „Lietzenburg“, errichten. Der Bau im Jugendstil ist inzwischen von einem Mischwald umgeben. Der Künstler sammelte in den Sommermonaten einen Kreis von Schriftstellern, bildenden und darstellenden Künstlern um sich, die seine Gastfreundlichkeit und seine Erzählgabe sehr zu schätzen wußten.
So kamen immer mehr Prominente auf die Insel.

Auch der Architekt Hermann Muthesius (1862-1927) erwarb Land auf Hiddensee und baute 1912 in Vitte am Süderende ein Bauernhaus aus, um es als Begegnungsstätte für Künstler herzurichten. Seine Frau Anna (1870-1961) beschäftigte sich vielseitig künstlerisch und förderte mit ihren musikalischen Abenden das kulturelle und geistige Leben auf der Insel.
Die dänische Schauspielerin Asta Nielsen (1881-1972) ließ in den zwanziger Jahren in Vitte ihr Sommerhaus „Karusel“ bauen. Es bildete den Mittelpunkt geselligen Beisammenseins von Schriftstellern, Schauspielern, Malern und Dichtern bis die ungekrönte Stummfilmkönigin 1936 nach Dänemark zurückkehrte. Zu ihren vielen Gästen gehörten der Dramatiker und Erzähler Carl Zuckmayer (1896-1977), der Schauspieler Eduard von Winterstein (1871-1960) und auch das Multitalent Joachim Ringelnatz (1883-1934).

Die Hiddensee-Malerin Elisabeth Büchsel (1867-1957) entdeckte 1904 die Insel für sich und erlag bis ans Lebensende ihrem Zauber.
Etliche Künstler erbauten oder erwarben damals einen Sommersitz auf der Insel. In Kloster waren das neben Gerhart Hauptmann der Maler Willy Jaeckel (1888-1944) und der Schauspieler Otto Gebühr (1877-1959). Der Schauspieler war, wie Oskar Kruse auch, auf Hiddensee sehr beliebt, denn beide pflegten einen sehr unbefangenen und engen Kontakt zu den Inselbewohnern.

Die Malerin, Schriftstellerin und Musikerin Henni Lehmann (1862-1937) ließ am Norderende in Vitte ein Haus erbauen, in dem sie mit ihrer Familie seit 1907 die Sommermonate verbrachte und literarische und musikalische Abende veranstaltete. Adolf Reichwein (1898-1944), Pädagoge und Kulturpolitiker der Weimarer Republik, bewohnte das „Hexenhaus“ in Vitte als Sommersitz. Zwei Vertreter der 1905 gegründeten Künstlergruppe BRÜCKE ließen sich auf Hiddensee inspirieren und malten die Insel. Otto Mueller (1874-1930) besuchte 1901 erstmalig „dat söte Länneken“. 1907 kehrte er als jährlicher Sommerurlauber zurück. Erich Heckel (1883-1970) verbrachte 1912 einen produktiven Sommer auf Hiddensee. Es sollen fünfunddreißig Werke erhalten sein. Den BRÜCKE-Künstlern nahestehend waren Max Kaus (1891-1977) und Walter Gramatté (1897-1929), die die Insel in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts künstlerisch unter dem Motto „Menschen in der Natur“ bearbeiteten. Der Maler Ivo Hauptmann (1886-1973), ältester Sohn des Dichters, gab in den zwanziger und dreißiger Jahren Hiddensee in expressionistischer Manier wieder. Alexander Kanoldt (1881-1939) sah und gestaltete 1927 in seiner LITHGRAPHIENFOLGE HIDDENSEE schon mit den Augen der NEUEN SACHLICHKEIT.

Der Physiker Albert Einstein (1879-1955) war seit 1919 häufig zu Gast auf Hiddensee. Manchmal lud er mit Familie zu Musikabenden ein, er verkehrte mit Hauptmann und war Gast der Kruse-Familie. Die Hauptmanns und die Kruses, der Theaterleiter und Regisseur Max Reinhardt (1873-1943), der Architekt Max Taut (1884-1967) sowie die Schauspielerin Helene Weigel (1900-1971) und viele andere genossen im Einklang mit der Natur auf der fast unberührten Insel ihre Ferien.